Wenn Deutsche Olivenöl kaufen, muss es naturbelassen sein – extra nativ – und am besten aus Italien. Das ist die Qualität, für die deutsche Kunden zahlen wollen. Nur das kommt auf ihren Sommersalat. 80 Millionen Liter italienisches, extra natives Olivenöl werden hierzulande jedes Jahr verkauft, so steht es in den Statistiken. Interessant dabei: Große Teile dieses Öls sind weder extra nativ, noch aus Italien, wie unsere Recherche zeigt. Die Öle sind professionell gepanscht. In Fabriken zusammengeschüttet aus dubiosen Quellen aus aller Welt, industriell aufbereitet und künstlich mit Geschmack versetzt.
Einer, der tief in der Panscher-Szene drin steckt, ist Fabio Lattanzio. Ein Chemie-Laborant aus Norditalien. Neun Jahre lang hat er in einer Fabrik gearbeitet, die Olivenöl produzierte. Am 19. Dezember 2011 hat er seinen Job aufgegeben. Seine Firma Valpesana gehörte zu den größten Panschern des europäischen Kontinents. Lattanzio hat ausgesagt über das dreckige Geschäft mit dem kostbaren Öl. Seine alten Kollegen stehen nun vor Gericht. Lattanzio sagt: “Ich wollte nicht Teil dieses kriminellen Netzwerks sein.”
Italienische Zwischenhändler mischen seit Jahrzehnten minderwertige Olivenöle – oft mit verbotenen Methoden – aus verschiedensten Ländern. Und verkaufen es dann in fast jedem deutschen Supermarkt unter falschem Label. Kunden haben keine Chance zu erfahren, was in ihrem Öl wirklich drin ist. Ohne Zeugen aus dem innersten Kreis der Panscher sind die Ermittler chancenlos. Produkttests wirken nur in den wenigsten Fällen. Die Mischungen auf Rezept sind von Chemikern so fein ausgetüftelt, dass Sensoren nicht herausfinden, ob Olivenöle das Ergebnis eines Mixes von industriellen Ölen sind oder nicht. “Wenn wir lediglich das Olivenöl untersucht hätten, wären wir nie in der Lage gewesen, das illegale System aufzudecken”, sagte ein italienischer Ermittler bei einem Treffen von Interpol. ↓↓
Der Fixpunkt im Betrügernetzwerk
Die Ermittler kamen dem größten Olivenöl-Panscher der Geschichte nur auf die Spur dank der Aussage des Insiders Lattanzio, eines Zufallsfundes und geheimer Rezepte. Die Spuren führen bis in die Regale von REWE. Uns liegen die Rezepte vor.
Die Firma Valpesana ist einer der wichtigsten Händler weltweit – und war Fixpunkt eines Betrügernetzwerks. Über Zwischenhändler lieferte Valpesana auch an zahlreiche deutsche Kunden.
Die Ermittlungen im Fall Valpesana geben den Blick frei auf ein weit verzweigtes Betrugssystem. Nicht jeder Tropfen Öl von Valpesana war gepanscht, aber hier schlug das Herz der Öl-Fälscher. Fabrikanten, die ohne Skrupel jede Vorschrift brechen. Die sich sicher sind, nicht erwischt zu werden. Und die sich selbst dann noch im Recht sehen, wenn die Beweislast gegen sie erdrückend ist.
Bei Valpesana beschlagnahmte Dokumente sowie die Protokolle abgehörter Telefonate der Macher lassen darüberhinaus Zweifel aufkommen an der Qualität des Lieblingsöls der Deutschen, nativ extra, vor allem – aber längst nicht nur – aus Italien. Dessen Marktanteil in deutschen Supermärkten: 98 Prozent.
Leider ist es besonders anfällig für Betrügereien.
Die hohe Nachfrage schafft Druck. Die Marktführer pressen ihre Oliven oft gar nicht mehr selbst. Längst ist der Zwischenhandel lukrativer als die eigentliche Produktion. Sie setzen jedes Jahr hunderte Millionen Euro um und sind immer wieder in Skandale verwickelt.
So verkaufte Domenico Ribati vor gut zwei Jahrzehnten türkisches Haselnussöl als italienisches Olivenöl – und ging dafür 13 Monate ins Gefängnis. Ein anderes Unternehmen setzte Lieferungen aus Tunesien als italienisches Olivenöl ab.
Einen der bislang größten Skandale untersuchten die Behörden vor sechs Jahren. Die Firma Azienda Olearia Basile verkaufte drei Millionen Liter Olivenöl aus Spanien, Griechenland und Nordafrika als “100 Prozent Italienisch” oder sogar „biologisch“, obwohl es aus konventioneller Produktion stammte. Der Prozess läuft noch.
Für Händler, die verschiedene Öle einkaufen, mischen und weiterverkaufen, existierten lange Zeit keine europäischen Regeln. Die EU-Kommission verabschiedete erst 1991 die erste europäischen Olivenöl-Verordnung. 24 mal wurde diese seitdem angepasst. Mittlerweile müssen Leitlinien eingehalten werden, die dafür sorgen sollen, dass „Reinheit und Qualität der betreffenden Erzeugnisse gewährleistet sind.” Es gibt Grenzwerte für alles, dazu Labortests und Experten, die das Olivenöl schmecken und dessen Harmonie bewerten.
Doch das ganze Überwachungssystem ist ins Leere gelaufen, wie unsere Recherchen zeigen. Die Betrüger reagierten auf die neuen Regeln und passten ihre illegale Produktion so an, dass sie trotz Kontrollen nicht auffallen. Die Grenzwerte der EU dienen als Gebrauchsanleitung für den Betrug. Der Valpesana-Skandal zeigt, wie die EU-Verordnungen umgangen werden.
Die Ermittlungen gegen Valpesana starteten im April 2011 mit einer Routineuntersuchung der Guardia di Finanza, einer auf Wirtschaftskriminalität spezialisierten Polizeitruppe des Finanzminsteriums. Valpesana machte damals einen Jahresumsatz von 200 Millionen Euro und handelte jährlich 65.000 Tonnen Olivenöl, mehr als 15 Prozent der gesamten Olivenölproduktion Italiens.
Das kleine toskanische Dorf Monteriggioni, in der Nähe von Siena, liegt inmitten sanfter Hügel. Olivenbäume stehen hier, es gibt Wälder und Wiesen. Eine friedliche Landschaft, in der Frieden herrscht. Niemand vermutet hier Betrüger. Das Firmengelände von Valpesana liegt an einer Ausfallstraße, gesäumt von Zypressen. Bei einer Razzia durchsuchten die Ermittler hier das Chemielabor und fanden die heiße Spur: geheime Rezepte für das gepanschte Öl. ↓↓
INTERVIEW
Der Kronzeuge im Valpesana-Betrugsfall
Käufer werden doppelt betrogen
Die Rezepte waren auffällig. Auf mehreren Seiten fanden die Ermittler Namen von Kunden, Abkürzungen für Ölsorten und Tanks, in denen das Öl gelagert wurde. Die Papiere beschrieben unterschiedliche Prozentwerte für chemische Bestandteile der Öle. “Wir hatten sofort den Verdacht, dass diese Rezepte eine Anleitung sind, um illegales Öl in großen Mengen zu produzieren”, sagte Colonel Luca Albertario, Leiter der Guardia di Finanza von Siena.
Der Zufallsfund der Beamten sorgte für Panik im sonst so beschaulichen Monteriggioni.
Fabio Lattanzio war zu der Zeit bereits neun Jahre lang Chemie-Laborant für Valpesana. “Nach der ersten Durchsuchung wurden Dokumente zerstört”, erinnert sich Lattanzio im Gespräch mit uns. “Wir sollten aufhören, Werte zu dokumentieren und einige Öle durften wir nicht mehr in Tanks abfüllen. Im Grunde sollten bestimmte Öle komplett verschwinden.” Lattanzio fühlte sich bei Valpesana immer unwohler. “Uns wurde gesagt, dass wir Informationen nur noch auf externen Festplatten speichern und mit nach Hause nehmen sollen”, sagte Lattanzio.
“Ich habe allen gesagt, sie sollen mir von ihren Betrügereien nichts erzählen.” Lattanzio warnte seine Kollegen: Seid vorsichtig. Doch die hatten ihm zufolge den Eindruck, unverwundbar zu sein – und fürchteten sich vor ihrem Chef, Francesco Fusi.
Lattanzio sollte mit seinen Warnungen recht behalten. Kurze Zeit später übernahm Sienas Bezirksstaatsanwalt Aldo Natalini die Ermittlungen. Im Dezember 2011 kündigte Lattanzio seinen Job und packte aus.
Was Natalini mit Lattanzios Hilfe herausfand: Valpesana betrog Olivenöl-Käufer gleich doppelt, bei Herkunft und Qualität. Zum einen verkaufte der toskanische Zwischenhändler Olivenöle als 100 Prozent italienisch, die in Wahrheit aus Sorten verschiedener Länder zusammen gemischt waren. Zum anderen mischte Valpesana unterschiedliche Qualitäten von Olivenölen, die später aber als Native Olivenöle Extra in europäischen Supermärkten verkauft wurden, also als Öle der höchsten Kategorie.
Lattanzio half dabei, den komplizierten chemischen Prozess hinter den gepanschten Ölen besser zu verstehen. Er übersetzte Abkürzungen und erklärte die beschlagnahmten Rezepte. Zwei Beispiele illustrieren den Betrug.
Ein Rezept von Ende Januar 2011 belegt, wie für eine italienische Marke ein Natives Olivenöl Extra verschnitten werden sollte – ohne auch nur einen einzigen Tropfen “Extra Nativ” zu verwenden. Stattdessen kalkulierte Valpesana mit 52 Prozent nativem Olivenöl, das eigentlich zu sauer war, und mit 48 Prozent sogenanntem desodorierten Öl.
Dieses industriell aufbereitete desodorierte Öl hilft dabei, die chemischen Werte des Endprodukts zu stabilisieren. Das ist wichtig, um innerhalb der EU-Grenzwerte zu bleiben. Die Werte von Ölivenölen können sich verändern, wenn sie zu lange lagern. Wer desodoriertes Öl dazu mischt, bekommt stabile Werte. Aus zwei minderwertigen Ölen wird so ein hochwertiges Öl.
Ölivenöle werden industriell desodoriert, um schlechten Geschmack und Geruch abzutöten. In einem luftleeren Raum werden sie mit hohem Druck auf 200 Grad erhitzt und destilliert. Gleichzeitig verliert das Öl jedoch gesunde Begleitstoffe wie Vitamin E.
Ein anderes Rezept trägt den Namen einer bekannten italienischen Marke, die mindestens ein Olivenöl-Produkt in den Regalen der Rewe Gruppe stehen hat. 2011 beschlagnahmten die Ermittler vier Rezepte für diese Marke. Demnach hatte Valpesana eine Gesamtmenge von 300.000 Liter Öl vorbereitet, um es als “griechisch Nativ Extra” zu verkaufen. Doch das war gelogen. Stattdessen wollte Valpesana griechisches Öl mit etwa 30 Prozent tunesischem Öl, italienischem nativen Öl und spanischem Öl mit unbekannter Qualität zusammen mischen. ↓↓
Der Strom nach Deutschland
Nach Deutschland liefert Valpesana viele italienische, griechische und spanische Marken über Mittelfirmen. Einer dieser Zwischenhändler – ein Abfüller – ist die Firma Oleificio Salvadori, die auch die Rewe Gruppe mit Öl von Valpesana belieferte.
Zur Rewe-Gruppe gehören die Rewe-Supermärkte und die Penny-Discounter.
Rewe schreibt, dem Unternehmen sei nicht bekannt, von wem Lieferanten ihre Öle beziehen. Grundsätzlich definiere Rewe mit seinen Lieferanten “klare Qualitätsanforderungen, die sowohl durch die Vertragspartner als auch durch die unternehmenseigene Qualitätssicherung in Zusammenarbeit mit renommierten Fachlaboren kontrolliert werden.” Zudem gebe es unangekündigte Prüfungen. Importierte Markenprodukte werden jedoch von Rewe nicht gesondert untersucht. “Die Qualitätskontrolle von Markenprodukten obliegt – auch gesetzlich – dem jeweiligen Hersteller.”
Ein von der Staatsanwaltschaft abgehörtes Telefonat illustriert, wie Valpesana und Salvadori illegale Mischungen abgesprochen haben. Am 22. Februar 2012 telefonierten die beiden Firmenchefs Francesco Fusi und Patrizio Salvadori miteinander. Salvadori beschwerte sich bei Fusi über die schlechte Qualität eines Olivenöls. “Du musst mir ein Öl liefern, dass wenigstens annähernd an ein Nativ Extra Öl herankommt. Dieses Öl hier ist mir viel zu risikoreich.” Valpesanas Chef Fusi ließ Salvadori abblitzen: “Du weißt ganz genau, was Du für 1,88 Euro kaufst.”
1,88 Euro. Das Investigative Reporting Project Italy (IRPI) hat mit zahlreichen Olivenöl-Produzenten in Spanien gesprochen. Das Ergebnis: Von der Ernte bis zur Presse kostet die Produktion von einem Liter Olivenöl zwischen 1,90 und 2,40 Euro. Nicht enthalten sind Profite für den Produzenten und den Zwischenhändler sowie der Transport.
Der zwischen Salvadori und Fusi verhandelte Preis von 1,88 Euro liegt somit niedriger, als die Kosten für die reine Produktion qualitativ hochwertigen Öls. Wie soll ein Zwischenhändler wie Valpesana dabei noch Gewinne machen? In vielen Supermärkten kostet ein Liter extra natives Öl drei Euro, manchmal weniger. Die Produktion nicht gepanschten Öls scheint zu diesem Preis kaum möglich zu sein.
Salvadori sagte auf Anfrage, dass der Preis für spanisches Olivenöl zur Zeit des abgehörten Telefonats deutlich niedriger lag. Es sei in dem Gespräch mit Fusi zudem nicht um Zusammensetzung und Qualität des Öls gegangen, sondern nur um den Geschmack.
“Keine unserer Lieferungen für Rewe ist jemals in Frage gestellt worden”, sagte Salvadori. Stattdessen habe sein Öl “Penny Eigenmarke” einen renommierten Ölivenöltest gewonnen. “Unsere Firma verkauft mehr als 140 Millionen Liter Olivenöl pro Jahr, an Supermärkte in der ganzen Welt.” Niemals seien seine Öle bei Qualitätsprüfungen von Kunden oder Behörden aufgefallen.
Salvadori behauptete zudem, die Behörden hätten während der Valpesana-Ermittlungen keines seiner Produkte beschlagnahmt. Das ist jedoch nachweislich falsch, Im Mai 2012 beschlagnahmten die Behörden 108 Tonnen Öl, das Valpesana an Salvadori geliefert hatte – darunter auch für die Rewe Gruppe bestimmtes Öl. Mittlerweile ist das Öl wieder freigegeben, allerdings musste Salvadori 6000 Flaschen neu beschriften und in der Qualität herunterstufen.
Ende Oktober beginnt in Siena die Hauptverhandlung gegen Valpesana. Bei den Vorverhandlungen im Mai schlossen drei der sieben Angeklagten einen Deal mit dem Gericht. Darunter der Leiter des Valpesana-Chemielabors, der für 23 Monate auf Bewährung ist. Die restlichen Angeklagten – auch Firmenchef Fusi – müssen sich unter anderem wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung mit Betrugsabsicht, der Fälschung von amtlichen Dokumenten und dem Vernichten von Beweisen verantworten.
Der ehemalige Valpesana-Laborant Fabio Lattanzio lebt bis heute in Monteriggioni, nur wenige hundert Meter von Valpesanas Firmengelände entfernt. Lattanzio bereut nichts, weder seine Kündigung, noch die Kooperation mit der Staatsanwaltschaft. “Die Ölivenölindustrie braucht eine echte Reform”, sagt Lattanzio. “Neue Manager, die ihre Firmen vernünftig führen.” Lattanzio ist mittlerweile junger Vater einer Tochter und arbeitet als Chemiker für eine Pharma-Firma.
Valpesanas Chef Fusi spricht seit Oktober 2012 nicht mehr mit Journalisten. Damals glaubt er aber offenbar noch immer, nichts falsch gemacht zu haben. Ganz im Gegenteil, er sieht sich als Teil einer normalen Industrie. “Ich kann versichern, dass Valpesana den Nativ Extra Markt in Italien und Europa perfekt repräsentiert”, sagte Fusi, als wir ihn mit den Vorwürfen konfrontieren. Das, was wir machen, so die Aussage, das machen doch alle. “Unsere Arbeit spiegelt die Bedürfnisse der Kunden und Lieferanten wieder.”